„Berlins Baby-Boomer - In Prenzlberg kann von der Leyen nicht punkten“

3. April 2007, Artikel in Spiegel-Online

Konservative mit Familie im Prenzlauer Berg: Besuch beim CDU OV Schönhauser Allee, nachdem die damalige Bundesfamilienministerin, Ursula von der Leyen (CDU), das Elterngeld eingeführt hatte. Zum vollständigen Artikel geht es hier...

Berlins Baby-Boomer

In Prenzlberg kann von der Leyen nicht punkten

Von Franziska Badenschier
 

Der Prenzlauer Berg ist nicht nur ein hippes Szene-Viertel, sondern auch Geburtenhochburg Berlins. Die CDU dümpelt hier bei zehn Prozent und erhofft sich mit von der Leyens Familienpolitik Stimmenzuwächse. Doch die Kiez-Eltern bleiben skeptisch.
 

Berlin - 19 Uhr, ausnahmsweise zum Glück mal kein Abendtermin: Stephan Lenz bringt seinen dreijährigen Sohn zu Bett. Seit zwei Jahren geht Karl in die Kita. Weil der Junge gerne mit anderen Kindern spielt. Weil seine Mama Juristin ist und wieder arbeiten wollte. Weil sein Papa "keine Lust auf eine unzufriedene Ehefrau" hatte. Die Großeltern waren skeptisch, sie kommen aus dem konservativen Mainz. Familie Lenz ist eben kein Paradebeispiel der klassischen christlich-konservativen Familie. Dabei arbeitet Stephan Lenz als Jurist im Abgeordnetenhaus für die CDU und ist Vorsitzender eines CDU-Ortsverbandes - aber eben im Ostberliner Ortsteil Prenzlauer Berg und nicht in der rheinland-pfälzischen Heimat.
 

Prenzlauer Berg ist ein Szeneviertel: hip und jung, bekannt für unzählige Cafés und trendiges Nachtleben. Aber auch das ist Prenzlauer Berg: Schwangere Frauen, Männer mit Kinderwagen, rappelvolle Spielplätze. Seit zwei, drei Jahren erlebt der Stadtteil einen Baby-Boom, der Mythos vom geburtenreichsten Viertel Berlins lebt wieder auf.

Im Jahr 2005 kamen im Bezirk Pankow, wozu der Ortsteil Prenzlauer Berg gehört, 3604 Kinder zur Welt - so viel wie in keinem anderen der insgesamt zwölf Berliner Bezirke.

Vor ein paar Jahren sah das noch anders aus. Die Ostdeutschen zögerten

nach der Wende mit dem Kinderkriegen, und die aus dem Westen Hinzugezogenen studierten oder arbeiteten zunächst, anstatt Familien zu

gründen. Jetzt ist der Prenzlberg mit seinen vielen Akademikern wieder eine Familienhochburg. Die Lebensgemeinschaften sind vielfältig: Das klassische Modell - die Eltern verheiratet, er bringt das Geld nach Hause, sie hütet jahrelang Heim und Kind - gibt es hier kaum.
 

Die CDU hat hier einen schweren Stand. Bei den vergangenen zwei Bundestagswahlen bekamen die Christdemokraten nur rund zehn Prozent, während die SPD siegte und

die Grünen und die Linken auf den Plätzen 2 und 3 landeten.


"Familie ist, wo Kinder sind"

Von der offensiven Politik von Ministerin Ursula von der Leyen hoffen jetzt auch die Christdemokraten bei der nächsten Wahl zu profitieren. "Frau von der Leyen vollzieht nun, was hier im Prenzlauer Berg schon ist", sagt CDU-Mann Stephan Lenz stolz. Vielen Eltern sei einfach nicht klar, dass die CDU bei der Kinderbetreuung für die Wahlfreiheit sei. "Junge Frauen und Mütter sollen selbst entscheiden", sagt Lenz. Eine Frau, die ihr Kind früh in die Kita gebe, sei keine Rabenmutter, und eine Vollzeitmutter auch nicht.


Doch so leicht scheint das mit dem Zuwachs für die Christdemokraten am Prenzlauer Berg nicht zu sein. "Mehr Stimmen für die CDU? Das kann ich mir nicht vorstellen", sagt etwa Carsten Kretschmann, der mit seinem "Engelchen", der 15 Monate alten Antonia, über eine Wiese tollt. Die CDU bleibe für ihn eine konservative Partei. "Meine Definition von Familie ist: Familie ist da, wo Kinder sind", so Kretschmann, "da tut sich die CDU noch schwer."

Es sei zwar gut, dass in der Diskussion ums Elterngeld nun auch nach der Rolle der Väter gefragt werde. Allerdings: Wenn Mütter sich auf eine Uni-Stelle bewürben, würden ihnen zwei Jahre Elternzeit anerkannt - "Männern, Vätern jedoch nicht", berichtet Kretschmann. Der Universitätsassistent ist froh, dass er wie seine Partnerin oft von zu Hause arbeiten kann und viel Zeit für Antonia hat.


Skeptisch bei den Aussichten für die CDU im Prenzlauer Berg ist auch Anästhesist Schmuck, der gerade mit seinem Sohn Jakob im Sand vom "Kiezkind" buddelt, einer einzigartigen Mischung aus Café, Babyklamottenladen und beheizter Sandkiste unter einem Dach. Hier sei die CDU zu unbedeutend. Wenn sie etwas bewegen könne, dann nur auf Bundesebene. Elterngeld, Vatermonate, mehr Kita-Plätze verleiten Schmuck zu sagen: "Ich würde eher wieder CDU wählen, aber nur auf bundespolitischer Ebene."
 

Die ersten 13 Monate nach der Geburt hat sich Schmucks Freundin, eine Frauenärztin, um den kleinen Jakob gekümmert. Nun ist er in Elternzeit gegangen - für sieben Monate. Danach soll Klein-Jakob in die Kita. In der Charité, wo er und seine Partnerin arbeiten, sei seine Auszeit kein Problem gewesen: Seine Chefin sei allein erziehende Mutter von zwei Kindern.
 

Mit der Stimme von Katja Kriegenburg darf die CDU auch nicht rechnen: Sie habe noch nie die Christdemokraten gewählt und werde das auch zukünftig nicht, sagt die freischaffende Theaterausstatterin. Die 45-jährige Ostdeutsche wohnt seit 30 Jahren im Prenzlauer Berg, hat zwei erwachsene Kinder, ist zum zweiten Mal verheiratet und hat vor elf Monaten Elsa zur Welt gebracht. Seit drei Monaten besucht das Mädchen eine Krippe - weil die Mama einen Auftrag nicht ausschlagen wollte und weil der Papa als Angestellter 40 Stunden pro Woche arbeitet. "Rein rational ist es okay, Kinder in diesem Alter in die Kita zu geben", sagt Kriegenburg, "doch Mütter können da noch nicht loslassen." Auch sie sei manchmal frustriert.
 

Rabenmütter überall und Familienkrach in der Union: "Wer an dem traditionellen Rollenverhältnis festhält, verschließt die Augen vor der Realität"
 

Obwohl von der Leyen beim gestrigen Krippengipfel durchgesetzt hat, die Betreuungsquote der unter drei Jahre alten Kinder bis 2013 im Bundesschnitt auf 35 Prozent zu erhöhen, befreit das viele Eltern auch im Bezirk Prenzlauer Berg noch nicht von ihren Sorgen. Trotz einer Quote von 38,3 Prozent in der Hauptstadt und rund 6500 Kita-Plätzen im Kiez gibt es in den Kindertagesstätten neuerdings wieder Wartelisten. Geschwisterkinder werden bevorzugt, Säuglinge wie Elsa nehmen nur wenige auf. Manche Mütter haben 40 Tagesstätten abgeklappert.
 

Großfamilie statt Kindergarten
 

Claudia Steinke hat nie einen Kita-Platz gesucht, obwohl sie drei Kinder hat: eine zwölfjährige autistische Tochter, eine Fünfjährige und einen Dreijährigen. Sie sei gerne Hausfrau und jederzeit für die Kinder da. Davon abgesehen, dass sie mit ihrem Partner, dem Vater der Kinder, nicht verheiratet ist, könnte sie also dem altdeutschen Familienbild entsprechen. Aber dennoch wird sie von der eigenen Familie kritisiert: "Willst du nicht endlich arbeiten gehen?", werde sie gefragt, und ob sie ihren Jüngsten nicht in die Kita geben wolle. "Die drei lernen miteinander und voneinander", sagt Steinke dann.
 

Auch Birgit Butter, wie Steinke im CDU-Ortsverband Schönhauser Allee aktiv, wurde als Rabenmutter bezeichnet, obwohl sie in der umgekehrten Situation lebt: Die 35-Jährige ist verheiratet, gebar vor drei Jahren einen Sohn, brachte ihn mit einem Jahr erstmals zur Kita und arbeitet nun halbtags als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Bundestag und nebenher als Rechtsanwältin. "Wie kannst du nur schon wieder arbeiten", habe die Schwester sie vorwurfsvoll gefragt. Diese ist in dem erzkonservativen sauerländischen Dorf geblieben, Birgit Butter zog nach Berlin.
 

CDU-Fraktionschef gibt Sohn mit 13 Monaten in Kita
 

"Wer an dem traditionellen Rollenverhältnis festhält, verschließt die Augen vor der Realität", sagt Butter. Und meint damit besonders Unionspolitiker, vornehmlich aus Süddeutschland. Unionsfraktionschef Volker Kauder, geboren im Süden Baden-Württembergs, verheiratet, keine Kinder, wollte die Familienministerin bremsen, als sie erstmals von Hunderttausenden neuen Kita-Plätzen sprach; ebenso der bayerische Wirtschaftsminister Erwin Huber, geboren in Niederbayern, verheiratet, zwei Kinder. Immerhin: Friedbert Pflüger, CDU-Fraktionschef im Berliner Abgeordnetenhaus, hielt zur Familienministerin - er selbst hat Sohn Leo mit 13 Monaten in die Kita gegeben.


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