„Durch ein Verbotsverfahren könnte die AfD am Ende gestärkt werden“

Debatte im Plenum und im Ausschuss für Verfassungsschutz

Nach dem Gutachten des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) wird deutschlandweit über ein mögliches AfD-Verbotsverfahren diskutiert. Ich halte eine kritische und differenzierte Debatte über einen derart weitreichenden Schritt für unverzichtbar – gerade im Sinne unserer demokratischen Kultur. Eine politische Entscheidung dieser Tragweite muss einer intensiven Prüfung des BfV-Gutachtens vorausgehen. Dabei gilt es insbesondere, Risiken und Erfolgsaussichten sorgfältig abzuwägen. Stand heute lehnt die Fraktion der CDU die Einleitung eines Verbotsverfahrens ab. Diese Positionen habe ich sowohl im Ausschuss als auch im Plenum klar vertreten.

Kurz vor Übergabe der Amtsgeschäfte an die neue Bundesregierung gab das Bundesministerium des Inneren (BMI) über eine Pressemitteilung bekannt, dass das lang erwartete Gutachten des BfV nun vorliege. Es komme zum Ergebnis, dass die Partei AfD als gesichert rechtsextremistisch einzustufen sei. Gleichzeitig blieb das Gutachten aber unter Verschluss. Die betroffene Partei AfD legte gegen ihre Einstufung als gesichert extremistisch Rechtsmittel ein und erwirkte in diesem Zusammenhang eine Stillhaltezusage. Seither darf sie bis auf weiteres von öffentlichen Stellen nicht öffentlich als „gesichert rechtsextremistisch“ bezeichnet werden. Die weitere Entwicklung bleibt abzuwarten.

Trotz der bestehenden Verpflichtung zur Geheimhaltung veröffentlichten kurz darauf Online-Portale das über 1000-seitige Gutachten. Damit war zu rechnen. Im Interesse des Vertrauens in unsere Sicherheitsinstitutionen, der Transparenz und einer offenen Debatte hätte ich mir gewünscht, dass schon mit der ursprünglichen Meldung des BMI auch das Gutachten veröffentlicht worden wäre. 

Unabhängig vom Verlauf der weiteren Debatte halte ich es für wichtig, jetzt unbedingt für mehr Transparenz und Verständlichkeit zu sorgen. Insbesondere sollte für Kriterienklarheit bei einer Einstufung einer Partei als gesichert extremistisch gesorgt werden. Parallel dazu sind die Implikationen und Folgen eines Parteiverbotsverfahrens kritisch abzuwägen. Aus guten Gründen ergibt sich aus einer Einstufung kein Automatismus. Die Einleitung eines Verbotsverfahren bleibt eine politische Entscheidung von Bundestag, Bundesrat oder Bundesregierung (BVerfGG§ 43 Abs. 1, vgl. auch: Erläuterungen des BMI (link)).

In der Sitzung des Berliner Ausschusses für Verfassungsschutz am 12. Mai brachte die Fraktion der Grünen den Punkt „Das BfV stuft die AfD als ‚gesichert rechtsextremistische Bestrebung‘ ein  – Auswirkungen auf den Berliner Verfassungsschutz“ auf die Tagesordnung. Hinsichtlich der Kriterienklarheit kann es als eine der Debatte zuträgliche Fügung betrachtet werden, dass gleichzeitig auch der Punkt „Auswirkungen des Urteils des OVG Münster auf die Arbeit der Verfassungsschutzbehörden: Unter welchen Voraussetzungen erfolgt aktuell die Einstufung als verfassungsfeindliche Bestrebung im Phänomenbereich des Rechtsextremismus und ab wann wird die Bezugnahme auf die ethnische Zugehörigkeit rechtsextremistisch?“ von der Koalition auf die Tagesordnung gebracht wurde. Hier konnten wir erneut die in der Expertenanhörung vom 9. Dezember 2024 (vgl. (link)) einhellig getroffene Feststellung verfestigen, dass die Bezugnahme auf einen ethnischen Volksbegriff nicht per se als verfassungswidrig einzustufen ist. Das gilt insbesondere, da auch das deutsche Staatsangehörigkeitsrecht an verschiedenen Stellen Bezüge zu ethnisch-kulturellen Kriterien aufweist.

Die Debatte zum BfV-Gutachten selbst hat dazu geführt, dass nun fraktionsübergreifend einheitlicher über Kriterien der Extremismuseinstufung gesprochen wird. Im Kern geht es um die Frage, ob die AfD sich gegen das in unserer Freiheitlich Demokratischen Grundordnung – neben Demokratieprinzip und Rechtsstaatsprinzip – niedergelegte Prinzip der Menschenwürde wendet. Hier muss das BfV-Gutachten genau dahingehend betrachtet werden, ob die vom Bundesamt zugrunde gelegten Kriterien hinsichtlich einer Verletzung der Menschenwürdegarantie tatsächlich erfüllt sind oder nicht. Eine solche Fachdebatte darf und muss trotz der Feststellungen des BfV zum jetzigen Zeitpunkt geführt werden. Es geht um das Verständnis der zentralen Grundwerte unserer Verfassungsordnung. Da diese nicht verhandelbar sind, muss sich ihr Anwendungsbereich auf fundamentale Inhalte beschränken, er muss begrifflich eng gefasst sein. Eine begriffliche Weitung aus politischen Gründen - mögen sie auch noch so opportun erscheinen - verbietet sich.

Natürlich steht jetzt mit dem Gutachten des BfV eine besonders fachkundige Auffassung im Raum. Dennoch: Abschließend wir diese Interpretationsfrage erst durch das Bundesverfassungsgericht entschieden. An dessen Rechtsprechung werden sich in der Folge alle Beteiligten auszurichten haben. Vorher kann es keine Klarheit geben. Das ist immer wieder zu betonen. Bislang gibt es noch keine für alle verbindliche Feststellung hinsichtlich einer Verfassungsfeindlichkeit der AfD, sondern lediglich eine entsprechende gutachterliche Einschätzung des BfV.  Klarheit in der Frage gibt es erst dann, wenn es eine unangreifbare gerichtliche Feststellung darüber gibt, dass die erforderlichen Kriterien für die Annahme einer extremistischen Bestrebung erfüllt sind. Gesetz und Recht liefern den Maßstab für die Annahme einer Verfassungsfeindlichkeit. Gerichte entscheiden - im Streitfall - verbindlich darüber, wie diese Maßstäbe im konkreten Fall anzuwenden sind. Gerade in einem so weitreichenden Fall muss der Rechtsstaat seine Grundsätze wahren.

Ist das alles zu aufwendig? Nein. Ich habe in der Diskussion erneut betont, dass es eben „verdammt gute Gründe“ braucht, wenn man sich aufmacht, um die größte Oppositionspartei zu verbieten. Ein gescheitertes Verfahren wäre ein politischer Super-GAU. Es reicht nicht, einfache Vergleiche zur NPD zu ziehen und es reicht auch nicht, die AfD der Einfachheit halber als homogen zu betrachten, auch wenn eine weitere Radikalisierung der Partei festzustellen ist. Beides greift zu kurz.

In der Plenarsitzung vom 22. Mai wurde sodann von den Fraktionen der Grünen und der Linken ein Antrag eingebracht, ein Verbotsverfahren der AfD anzustreben. Die bereits im Ausschuss dargestellte verfassungsschutzpolitische Position der CDU-Fraktion habe ich hier erneut auf den Punkt gebracht: Das Ergebnis des BfV-Gutachtens, die AfD sei gesichert rechtsextrem, ändert nichts daran, dass unsere Fraktion zum jetzigen Zeitpunkt ein solches Verfahren weiter ablehnt. Wie bereits häufiger thematisiert, liegen die Gründe für die Ablehnung in der jahrelangen Dauer und den zweifelhaften Erfolgsaussichten des Verfahrens. Auch würde ein Verbotsverfahren den von der AfD gepflegten Opfernarrativ als „verfolgte Opposition“ weiter stärken. Aufgrund dieser Risiken gilt: „Kein Verfahren ist am Ende besser als ein gescheitertes Verfahren.“

Schließlich muss man sich auch ganz grundsätzlich die Frage stellen, ob ein Parteiverbot - auch dann wenn es erfolgreich ist -  im vorliegenden Fall überhaupt das angestrebte Ziel erreichen kann. Wir müssen anerkennen, dass die über zehn Millionen AfD-Wähler in der vergangenen Bundestagswahl überwiegend so abgestimmt haben, weil sie mit dem Angebot anderer Parteien nicht einverstanden und mit der aktuellen Situation nicht zufrieden waren. Diesen zehn Millionen Menschen in Deutschland kann man ihre Meinung nicht verbieten, indem man sie insgesamt zur extremistischen Position erklärt. Vielmehr muss man sie durch gute politische Angebote überzeugen und zurückgewinnen. Die inhaltliche Auseinandersetzung mit der AfD bleibt deshalb eine zentrale Aufgabe im demokratischen Wettbewerb. Dazu gehört es im übrigen auch, den Menschen zuzuhören und eigene Positionen immer wieder zu überdenken.

Nur durch gute Politik kann man überzeugen. Die Unionsparteien haben sich nach der gewonnenen Bundestagswahlen aufgemacht, mit der neuen Bundesregierung einen umfassenden Politikwechsel einzuleiten, vor allem in der Migrations-, der Wirtschafts- und der Außen- und Sicherheitspolitik. Die konsequenten politischen Korrekturen werden Wirkung zeigen. So werden wir auch das Vertrauen der Wähler zurückgewinnen! 

Über die Debatte berichtete Zeit-Online am 22.05.2025 unter dem Titel "Parteienverbot: Streit im Abgeordnetenhaus um AfD-Verbotsverfahren" (link).

Die Debatte im Ausschuss für Verfassungsschutz kann im Videoarchiv des Abgeordnetenhauses angesehen werden:

Die Debatte im Plenum vom 22.05.2025 kann hier im Video nachverfolgt werden (link). Mein Redebeitrag im Wortprotokoll hier (S. 6569, (link)).